Aufwiedersehen (6)

Kapitel 9

Wieder das gleich Prozedere. Fein gestriegelt, wie die Pferde zur Schau werden die Kinder den Herrschaften vorgeführt. Und obwohl die Kleine ihr bestes Lächeln aufgesetzt hat, so dass man ihre schneeweißen Zähne hinter den blassroten Lippen hervorblitzen sieht, wird sie nicht genommen. Das Paar und das Kind, also die Familie verlässt das Gebäude. Die anderen Kinder um der Kleinen verziehen sich und als die Nonne in den Flur zurückkehrt und die Kleine dort immer noch stehen sieht, geht diese zur Kleinen herüber. Sie hat den Blick zu ihren Füßen gerichtet. Die Nonne steht mit eiserner Miene vor ihr. Der Kleinen rollen die ersten Tränen von den kleinen Bäckchen. Diese sind nur der Verbote einer viel größeren Menge, die sich so bald über ihr Gesicht, wie ein Wasserfall, ergießen wird. Wieder hat sie es nicht geschafft ihren Peinigern zu entkommen. Zwischen Zeigefinger und Daumen einspannend, wie eine Schreibzwinge, nimmt die Nonne, dass Gesicht der Kleinen. Ihre Augen sehen aus, als läge dort eine grüne saftige Insel inmitten eines unruhigen Meers. Die Nonne lässt ihr Gesicht wieder los und wischt sich angewidert die feuchten Hände ab.
„Unser Herr Jesus hat am Kreuz auch nicht geweint und dabei wurden ihm Nägel durch die Gliedmaßen getrieben! Also höre auf zu heulen!“ fährt die Nonne die Kleine an. Ihr ist es egal, was der Herr Jesus erlitten hat, der Schmerz, der sich in ihrer Seele wie eine Epidemie ausbreitet, verletzt sie so sehr, dass sie hopft durch die Tränen alles heraus zu spülen. Wie die Nonne sieht, dass die Zähren nicht weniger werden, prasselt ihre rechte Hand, wie der Hammer auf das Schmiedestück, gegen ihre Wange. Die Tränen der Kleinen bleiben in den Kanälen stecken, sofort sind sie erstarrt, als hätte der Frost sie übermannt. Und ähnlich wie mit den Tränen hat sich ein Mantel der Kälte über ihre eben noch so gewaltigen Gefühle gelegt und sie zu Ruhe gebracht. Mit weit geöffneten Augen, die das Entsetzen über die Tat nur so verlauten lassen, blickt sie die Nonne an.
„Auf dein Zimmer!“ bellt diese die Kleine an, welche darauf hin auf ihr Zimmer stürmt. Für niemanden mehr will sie hübsch sein. Für niemanden will sie wieder ein solches Schauspiel vorführen und nie wieder will sie ihre Gefühle offenbar. Sie sperrt sie in sich an. Verschließt die Truhe mit ihnen und wirft den Schlüssel weit weg in eine tiefe Schlucht aus der sie noch Stunden später das Fallen des Schlüssels hört.


Kapitel 10

Ehre ist ganz allein etwas, dass tief aus dir selbst kommen muss. Nur wer ehrenhaftes tut kann auch erwarten geehrt zu werden und so handle nicht nach deinen Instinkten, lasse zuvor deine Ehre ein Urteil der Situation abgeben, um zu entscheiden, ob du der Moral deines Herzens folgst oder doch eher dem unterbewussten Drang deines Tiers danach dir alles einzuverleiben. Und so solle dein Weg sein, dass du die Ehre in dir wachsen lässt. Sie mit dem Dünger der Moral stärkst und schlussendlich gestärkt und standfest ins Licht trittst, um zu zeigen, dass du deinen Weg gegangen bist. Du weißt nun, wohin es geht. Präsentiere uns deine Entschlossenheit, dass du das, was du vollrichtest, auch wirklich machen willst und zwar bis zum unausweichlichen Ende. Sei über jeden Zweifel erhaben, der deine Entscheidungen verdrehen könnte, wie die Schlange einst Adam und Eva verdrehte. Lasse den Zweifler in dir zurück und zeige, dass du deinen Weg bereits kennst, wenngleich du ihn noch nicht bestreiten musst, denn er ist deine Zukunft. Zeige, dass dein Wille nicht zu brechen ist, wie die Schale einer Walnuss. Zeige, dass du nicht nur eine harte Schale hast, sondern einen mindestens ebenso harten Kern. Denn wir werden dich prüfen. Im Mahlstein unserer Zunft wissen wir die Spreu vom Weizen zu trennen und so glaube uns, dass wir dies auch tun. Kein ehrenloses Pack kommt uns in die eigenen Reihen. Nur ehrsame sollen sich hier einfinden, damit wir uns gegenseitig befruchten können mit unserem Können. Sei also wie der Fels in der Brandung, wenn wir dich unter die Lupe nehmen, denn wir sind die Wogen des Meeres, die an dich heran treten, um dich von den Beinen zu reißen. Und wenn du zum Schluss noch zeigst, dass du überzeugt bist von deiner letzten Tat, dass du zeigst, dass du das Licht in der Dunkelheit bist, dass du der bist, der sich opfert für das Leben der unschuldigen anderen, dann, aber auch nur dann, heißen wir dich willkommen in unserer Riege. Dann nenne dich einen Kendoku.

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